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Vorwort
Die Zeiten sind ernst. Wir erleben einen globalen Rechtsruck, auch und vor allem in Deutschland seit der Gründung der AfD. Es mag vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Periode in Deutschland und dem Holocaust unverständlich erscheinen, dass eine rechte Bewegung wieder so viel Zulauf bekommt, aber die politische Rechte hat sich in Deutschland seit 1990 erfolgreich reorganisiert und dabei gesellschaftliche Umstände vorgefunden, die nach 1945 institutionell und personell nie wirklich vollständig entnazifiziert worden sind.
Wo stehen wir auf dem Feld der Netzpolitik?
Rechtsradikale, Rechtskonservative und Neoliberale spielen sich in der aktuellen Konstellation die Bälle zu und die gesellschaftliche Linke steht daneben und bleibt passiv. Sie sucht nach kompetenten Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit: dazu zähle ich u.a. die menschheitsbedingte Klimakatastrophe, die Digitalisierung und das massive globale Nord-Süd-Gefälle in der Tradition des Neokolonialismus mit Tausenden von Hungertoten.
Die Auswirkungen dieser politischen Konstellation des Rechtsrucks auf das Feld der Netzpolitik sind massiv. Wir erleben eine ungehemmte Einbindung digitaler Technologien in bestehende rechtskonservative law-and-order Regierungsstrategien (digitaler Autoritarismus) und in bestehende kapitalistische Verwertungsmodelle (Überwachungskapitalismus). Wir erleben gleichzeitig die immer realer werdende Gefahr, dass im Zuge des Rechtsrucks proto-faschistische Akteure in Regierungsverantwortung kommen, die dann versuchen, ihre teils ressentiment-geladenen (offener Rassismus, vehementer Antifeminismus und Queerfeindlichkeit), teils fiktiv-realitätsverweigernden (Leugnung der Klimakatastrophe) menschenverachtenden, rechten Politikinhalte auf der technologisch-materiellen Grundlage der neuen, im Entstehen begriffenen „digitalen Überwachungs-, Verwertungs- und Meinungsmaschine“ weiter zu popularisieren und in die politische Tat umzusetzen.
Politische Alternativen und gegenwärtige linke Kämpfe
Um es deutlich zu sagen: das muss so nicht sein, es gibt politische Alternativen zur hyperkapitalistisch basierten und getriebenen Form der digital-autoritären Digitalisierung, in der wir gerade leben. Zivilgesellschaftliche Kräfte und Verbündete in den Parlamenten wenden sich (1) vehement gegen digital-autoritäre Projekte wie die Chatkontrolle, die Vorratsdatenspeicherung, die biometrische Überwachung usw.. Parallel wird (2) versucht, die Tech-Monopole in Bezug auf die digitale Organisierung und Verdatung des gesellschaftlichen Lebens in Frage zu stellen, im besten Fall zu brechen, und (3) digitale gesellschaftspolitische Alternativen jenseits von Digitalem Autoritarismus und Überwachungskapitalismus (Zuboff) zu entwickeln. Dazu zählt das Fediverse mit seinen programmierten Alternativmodellen zu Google, Facebook & Co.
Daneben kämpfen (4) queer-feministische und antirassistische Kräfte darum, dass das Internet als Öffentlichkeitsraum nicht zum alleinigen Schauplatz rechter Hetze und digitaler Gewalt gegen Migrant*innen, Frauen*, Queers und generell Linke wird. Und ökologische Kräfte (5) stellen den vermeintlichen Wachstums-Automatismus der kapitalistischen Weltökonomie in Frage, da dieser zu einem Ressourcenverbrauch führt, der das Ökosystem und damit die Menschheit als solche in den Kollaps drückt.
Jedoch: fehlende Durchschlagskraft der gesellschaftspolitischen Linken
Insgesamt bleibt die hier angerissene links-emanziparische digitale Bewegung aber bisher leider zu schwach, trotz aller inhaltlichen und technischen Kompetenzen im Umgang mit digitalen Technologien. Nachdem es vor Jahren so aussah, als würden linke und linksliberale „digitale Intellektuelle“ in die öffentlichen Debatten und staatlichen Prozesse um die Gestaltung der Digitalisierung zumindest teilweise eingebunden, und könnten damit links-alternative Deutungen und Vorschläge zumindest Einfluss und Gehör finden, haben nun innerhalb des parlamentarischen Spektrums rechtskonservative Hardliner wieder stärker das Ruder übernommen.
Diese Hardliner setzen den Kurs der digital-autoritären, hyperkapitalistisch strukturierten Digitalisierung ungebrochen fort, und entnennen und ignorieren dabei sowohl rassifiziert und sexualisiert gewaltvoll geprägte Zustände als auch die menschheitsbedingte Klimakatastrophe. Die vorher so gefragten „digitalen Expert*innen“ werden nun einfach nicht mehr um ihre Meinung gefragt – oder sie werden ignoriert oder „beiseite gelegt“, wenn sie sich äußern.
Politische Folgen und politische Alternativen
Die Folge: IT-Unternehmen restrukturieren quasi ohne relevante staatliche Vorschriften und Vorgaben den gesellschaftlichen Raum entlang ihrer kapitalistischen Verwertungsinteressen neu – und alles, was dabei an Datenmaterial abfällt, ist tendenziell interessant für eine grenzenlose law-and-order Politik der Inneren Sicherheit. Diese setzt zwar tödliche Grenzen nach Außen durch, kennt aber in der staatlichen Herrschaftsausübung im Inneren keinerlei staatliche Grenze gegenüber der Bevölkerung.
Wer jedoch in dieser Situation Furcht vor einer „Digitalisierung an sich“ predigt, lässt meines Erachtens aus Betracht, dass wir weiterhin über einen politischen Prozess reden, in dem digitale Technologien „in-actual“ gesellschaftlich implementiert werden. Diese Technologien können grundsätzlich re-programmiert und im zweifelsfall auch ausgeschaltet („press the button“), gelöscht (Software) oder weggeworfen (Hardware) werden.
Damit soll das den Technoliogien innewohnende Emanzipationspotential für menschliche Gesellschaften nicht geleugnet werden, aber es ist wichtig zu betonen: Ein Leben a) mit vollständig anders implementierten, b) mit deutlich weniger oder c) ohne bestimmte digitale Technologien und Verdatungsprozesse ist theoretisch und praktisch weiterhin möglich – was sich spätestens dann überprüfen lassen wird, wenn es auf Grund der Klimakatastrophe global zu massiven Überschwemmungen kommen wird, die die elektrifizierte Infrastruktur der Digitalisierung in ungeschützten Teilen der Welt lahm legen wird.
Darauf zu warten, bedeutet jedoch, in der Verelendungtheorie und dem Warten auf die Flutkatastrophe zu verharren. Dieses reicht nicht aus: wir müssen stattdessen um eine global gerechte Digitalisierung kämpfen, die es uns erlaubt, weiter auf diesem Planeten zu leben. Eine Digitalisierung, die nicht an Profitinteressen einzelner Unternehmen oder Tech-Giganten, sondern an den elementaren Bedürfnissen der Weltbevölkerung wie Lebensmittelversorgung, physische und psychische Wärme und Unversehrtheit sowie sozialer Absicherung im Krankheitsfall, in Krisen oder im Alter ausgerichtet ist.
Konfliktorientierter netzpolitischer Habitus
Dies bedeutet auch, staatlicher Politik anders als bisher zu begegnen, insbesondere in Zeiten des Rechtsrucks. In der Konfrontation mit digital-autoritären ausgerichteten und hyperkapitalistisch gewährenden Regierungsvorhaben, die von offen rassistischen und antifeministischen Hetzkampagnen der radikalen Rechten flankiert werden, muss der tendenziell kooperationswillige und eigentlich zurecht „lösungsorientierte“ Habitus in der digitalen Szene durch einen offen konfliktorientierten netzpolitischen Habitus ersetzt werden, der sich im Kleinen wie Großen vehement für eine links-emanzipatorische Form der Digitalisierung auf allen Ebenen einsetzt.
Diese auszuformulieren ist genauso notwendig wie kompliziert: denn eine Kritik der gegenwärtigen Form der Digitalisierung bedeutet eine Kritik an Drohnenkrieg und Militarisierung als Konfliktlösungsmittel, an Profitsteuerung und Kapitalismus als Wirtschaftsmodell und an tendenziell unbegrenzter Datenaneignung und permanenter rechter law-and-order-Hetze für ein maßloses rechtskonservatives Konzept der „Inneren Sicherheit“. Links-emanzipatorische Strategien und Modelle müssen hier an die Stelle rechtskonservativer und rechtsradikaler Kampfbegriffe und permanenter Verharmlosungen, Entnennungen und Irreführungen treten.
Für eine links-emanzipatorische Verschiebung der Kräfteverhältnisse
Ein solches Vorhaben bedeutet auch, der politischen Annäherung von Rechtskonservativen und Neoliberalem mit dem menschenverachtenden Rassismus der Rechtsradikalen insbesondere in Law-and-Order-Strategien eine vollständige Absage zu erteilen. Denn Rassismus ist und war nie eine solidarische Lösung gesellschaftlicher Probleme, sondern immer der auf das Individuum abzielende Versuch, von rechter Seite ein „Emanzipationsmoment“ auf Seiten der Rassist*innen zu erzeugen, das soziale Spannungen durch entmenschlichenden Hass auf „das Fremde“, dessen Erniedrigung und die eigene Selbsterhöhung vermeintlich „löst“.
Diese unsolidarische Form der individualistischen, dominanzgeleiteten „Emanzipation“ hat jedoch in der deutschen Geschichte des Nationalsozialismus mit seinem eliminatorischen Antisemitismus bis nach Auschwitz geführt – dieses darf meines Erachtens in der aktuellen Situation des Rechtsruck nie vergessen werden. Heute warten auf Geflüchtete aus dem Globalen Süden digital überwachte, tödliche Grenzen, einpferchende Kasernierungslager an den abgelegenen Außengrenzen der Europäischen Union oder sie werden in sozial verwüstete Länder zurückgedrängt, die keine gesicherte Lebensperspektive, sondern nur Elend und Tod durch Krieg und Hunger bieten.
Eine links-emanzipatorische Form der Netzpolitik muss sich daran messen lassen, die gegenwärtige Form der Digitalisierung, also a) den digital organisierten Grenztod, b) das Sterben durch digital gesteuerte „Drohnenarmeen“ in kriegerischen Auseinandersetzungen, c) die staatlich legitimierte und durchgesetzte Profitorientierung des Überwachungskapitalismus und dessen Verdatungsprozesse, d) die in Kauf genommene Planetenzerstörung u.a. durch überbordenden Ressourcenverbrauch für digitale Technologien und e) die scheinbar grenzenlose, digital-autoritäre Ermächtigung der staatlichen Sicherheitsapparate durch die Aneignung von Datenbeständen in Richtung einer solidarischen globalen Perspektive und politischen Praxis „von unten“ zumindest teilweise verschoben zu haben.
Lars Bretthauer, ist Politikwissenschaftler, promoviert zum Thema Vorratsdatenspeicherung als digital-autoritärem Projekt, betreibt das Blog und den Telegram-Kanal „systemtransformation“ und lebt in Berlin.
Quellenverweis: Bretthauer, Lars (2025) Digitaler Autoritarismus, Überwachungskapitalismus und globaler Rechtsruck. Links-emanzipatorische Antworten auf dem Feld Netzpolitik. Berlin. Web: https://systemtransformation.noblogs.org/post/2025/11/17/digitaler-autoritarismus-ueberwachungskapitalismus-und-globaler-rechtsruck-links-emanzipatorische-antworten-auf-dem-feld-netzpolitik/