Alle Beiträge von lbretthauer

Linke Medienkiste #39

Frauen*-Fussball-WM im TV

Sehr guter Kommentar zur bisher nicht erfolgten Vergabe der TV-Rechte für die Frauen*-Fußball-WM in zwei Monaten. Klar, Infantino ist ein krasser, aaliger Patriarch, aber was sich ARD und ZDF da leisten (Gebot: 5 Millionen), ist wirklich unterirdisch:

„Zur Einordnung: Fünf Millionen Euro bezahlen ARD und ZDF, ohne mit der Wimper zu zucken, für ein Länderspiel der Männer. Fünf Millionen Euro wären nur zwei Prozent von dem, was die Anstalten 2022 für die Rechte an der Männer-WM ausgegeben haben (214 Millionen Euro, siehe Grafik). Eine ganze WM der Frauen, mit der man das dröge Vormittagsprogramm aufpeppen könnte, ist den Sendern hingegen keine zehn Millionen wert“ [–> ARTIKEL]

Klimakrise erwünscht?

Freundlich nachfragend, aber dezidiert auf die Klimakatastrophe hinzuweisen, ist oft schwierig – geht aber anscheinend doch (Foto: Berlin-Xberg). Bin auf die Antworten gespannt.

Queere Selbstbestimmung

Ätzende Entwicklung in den USA: „Ein Bundesrichter hat entschieden, dass er einen Schulbezirk in Mississippi nicht daran hindern wird, von einem Trans-Mädchen zu verlangen, sich zum Highschool-Abschluss wie ein Junge zu kleiden.“

Aber super Gegenreaktion: „»Ich habe das Recht, meinen Abschluss als die zu feiern, die ich bin, und nicht als die, die ich nach dem Willen anderer sein soll«, sagte sie. Ein Anwalt der Familie des Mädchens teilte nach der Gerichtsentscheidung mit, dass sie aufgrund der jüngsten Ereignisse nicht an der Abschlussfeier teilnehmen wird.“ [–> ARTIKEL]

Staatliche Kriminalisierung der Klimabewegung

Die neue Berliner GroKo will jetzt untersuchen lassen, ob die „Letzte Generation“ eine „kriminelle Vereinigung“ darstellt [–> ARTIKEL], was erhebliche Repressionen nach sich ziehen könnte. Schön einmal die law-and-order-Knarre gegen die aktuellen Öko-Proteste durchgeladen – ich glaub, ich spinne.



Staatliche Repression & Überwachung #1

Beim Sammeln der Ereignisse der letzten Tage hatte ich einen Überhang an Nachrichten zum Thema staatliche Repression und Überwachung, weswegen ich mich mal an einer neuen Blog-Unterkategorie versuche.

Repression gegen Seenotrettungsorganisationen im Mittelmeer

Politisch sehr bedauerlich und bitter – die Repression von Staatsorganen geht nicht spurlos an den Gruppen, Organisationen und NGOs vorbei, die die Seenotrettung von Geflüchteten im Mittelmeer organisieren und Menschenrechtsverletzungen durch europäische Polizei- und Militäreinheiten dokumentieren: „Der Verein Mare Liberum hat Menschenrechtsverletzungen dokumentiert. Nun gab er seine Auflösung bekannt. Repression verunmögliche die Arbeit.“ [–> LINK ZUM ARTIKEL; –> LINK ZUR AUFLÖSUNGSERKLÄRUNG]

Tagung „Abolitionismus jetzt“

Am 5. und 6. Mai 2023 findet in Berlin die Tagung „Abolitionismus jetzt“, die sich aus linker Perspektive mit der Polizei als Institution auseinandersetzt, und deren herrschaftsförmige Struktur grundlegend hinterfragt. Ein Schwerpunkt sind dabei der der gegenwärtigen deutschen Polizei inhärente strukturelle Rassismus – daneben werden vor allem alternative Konzepte zur Verpolizeilichung sozialer Probleme diskutiert [–>LINK].

Überwachung durch Geheimdienste

Die Enthüllungen von Edward Snowdon sind in diesen Tagen 10 Jahre her. So bahnbrechend diese auch für das gesellschaftliche Wissen um internationale staatliche Überwachung waren, so wenig wurde die Arbeit der Geheimdienste, in Deutschland vor allem der BND, ernst politisch in Frage gestellt und verändert. Die von linker und liberaler Seite an dem Untersuchungsausschuss beteiligten Kräfte haben dennoch die gesammelten Wissensressourcen aus dem Ausschuss gebündelt, und in dem sehr lesenswerten eigenen Online-Archiv „Wer kontrolliert wen“ zusammengestellt [–> LINK ZUM ARCHIV].

Umgang mit Gewalttaten von Kindern

Solide Cover-Antwort der Titanic-Redaktion auf den von rechtsradikalen und konservativen Kräften angestrengten repressiven Diskurs um eine Herabsetzung des Alters der Strafmündigkeit von 14 auf 10/8/6 nach von Kindern begangenen Gewalttaten. Tenor: no way – soziale Probleme brauchen soziale Lösungen!

Linke Medienkiste #38

Gedenken an deutschen Nationalsozialismus und NS-Aufarbeitung

Am 7. April ist mit Benjamin Ferencz einer der Ankläger der Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse im Alter von 103 Jahren gestorben. Gerade gestern hatte ich wieder eine Debatte darüber, warum nicht mehr NSDAP-Parteimitglieder und-Funktionsträger*innen nach 1945 angeklagt und verurteilt worden sind. Die Gründe reichen wohl von der Deutschland-Politik der West-Allierten im Kalten Krieg, die in Teilen auf die alten NS-Eliten setzte, über das Weiterbestehen nationalsozialistischer Machtnetzwerke in Staat und Wirtschaft bis zur weitverbreiteten Ansicht in der deutschen Bevölkerung, „alles richtig gemacht zu haben“ bzw. „von Hitler verführt worden zu sein“. Umso höher ist das Engagement jener Leute zu bewerten, die diese Selbstwahrnehmung der Deutschen angriffen, die Gräueltaten und perfiden Planungsprozesse der Massenvernichtung recherchierten und schließlich zur Anklage brachten.

Petition gegen Springer-Nachrichten im „Berliner Fenster“

Viele Berliner*innen müssen bei Ubahn-Fahrten die Nachrichten des Springer-Konzerns über sich ergehen lassen, die im sogenannten „Berliner Fenster“ angezeigt werden. Gestern diese rechtskonservative Nachrichten-Beschallung wurde nun eine Petition gestartet, die zumindest sich für eine Meinungsvielfalt in Berliner U-Bahnen einsetzt. Denn: „Springer sollte nicht [neben seiner eh schon vorhandenen Meinungsmacht] zusätzlich noch eine derartige Monopolstellung mit seiner Einflussnahme in den U-Bahnen und damit im öffentlichen Raum gegeben werden.“. Die ausführliche Petition findet Ihr hier [–> LINK].

St. Pauli Kongress

Der FC St. Pauli hat in den letzten Tagen angekündigt, Anfang September in Kooperation mit der Fanszene einen Kongress zur Zukunft des Clubs zu machen. Den letzten Kongress dieser Art gab es im Jahr 2009. Momentan gibt es nur einen „save the date“ – den Anstoss finde ich aber sehr gut im Sinne einer offenen Mitbestimmungspolitik.

Zum Schluss…

Was Witziges über Gefühle und Party im Neoliberalismus 😉

Zur neokonservativen Politik der Bücherverbote in den USA

Die von Verbänden und Organisationen der Neuen Rechten in den USA seit längerem vorangetriebene Verbotspolitik von Büchern finde ich wirklich hammer-gruselig. Nachdem vor ein paar Wochen berichtet wurde, dass Rosa Parks Autobiographie in einem Bundesstaat verboten worden war [–> LINK], hat es nun eine Graphic Novel über Anne Frank in einem anderen US-Bundesstaat getroffen [–> BERICHT].

Die neokonservative Politik der Bücherverbote ist aus meiner Sicht nicht nur wegen der Ähnlichkeit zur Bücherverbrennungspolitik der deutschen Nazis, sondern auch ganz konkret auf Grund der erfolgreichen Geschichtspolitik der US-amerikanischen Neo-Cons sehr ernst zu nehmen. Diese definiert Sexualität als „anstössig“, empowernde Geschichtsschreibungsprozrsse marginalisierter Gruppen als „übertrieben“ und kulturelle Gewaltdarstellungen als reinen „verdorbenen, perversen Exzess“, die mit der Realität nichts zu tun haben.

Im Kern fühlt es sich so an, als hätten die Neo-Konservativen bei ihrer Rollback-Wunsch-Zeitmaschine irgendwas um Mitte der 1970er / Anfang der 1980er Jahre eingegeben, als dann Punk, Rap, Queere Bewegungen, Splatter und andere subkulturelle Strömungen gegen die engstirnig-heimelige Weltsicht der damaligen Konservativen rebellierten.

Was sich momentan in den USA vollzieht – und nebenbei gesagt in Deutschland von der AfD und Teilen der CDU ebenfalls positionstreu aber bisher meist erfolglos vertreten wird (siehe u.a. die Ankündigung der Berliner CDU im letzten Wahlkampf vor ein paar Wochen, das Anti-Diskriminierungsgesetz abschaffen zu wollen) – bedeutet zum einen für die kulturellen Emanzipationskämpfe marginalisierter Gruppen und unterschiedlicher sozialer Bewegungen einen herben Rückschlag.

Genauso leid tun mir aber alle Aufwachsenden, die sich jetzt wieder in ihrer politischen Sozialisierung durch eine rechte Verbotspolitik durchwühlen müssen, um der schwachsinnigen Geschichts- und Realitätsdeutung der Neo-Konservativen zu entkommen.

Zur deutschen Debatte um die Vermögenssteuer

Weil ich grad mal wieder einen kurzen Verweis darauf gelesen habe: ich empfinde die in Deutschland geführte Debatte um die Vermögenssteuer mittlerweile als relativ frustriend.

Grund: es gelingt den Parteien und Interessensverbänden der Wohlhabenden & Erbenden permanent, eine Stimmung zu erzeugen, wonach die Vermögenssteuer nur im „absoluten Krisenfall“ eine realpolitische Option sei. Das war in der Pandemie und den mit ihr verbundenen Kosten so – nun wieder bei der Frage des sozial-ökologischen Umbaus im Angesicht der Klimakatastrophe und den dafür benötigten finanziellen Mitteln.

Was mich genuin nervt: die tiefsitzende Haltung, dass die Eigentums- und Vermögensordnung „schon ihre Richtigkeit hat“. Stichwort: Aufstiegserzählungen und Narrative der Leistungsgesellschaft, „hart erarbeiteter Wohlstand unter gleichen Karrierebedingungen“ – die wiederum alle empirisch wiederlegt sind. We live in a class society – live with it.

Was ich aber fast noch schlimmer finde: das politische Spiel mit gesellschaftlichen Katastrophen, die kommen müssten, damit eine Umstrukturierung der Eigentums- und Vermögensordnung „legitim“ sei.

Im Gegenteil: ich erwarte mir von einer Gesellschaft, dass sie nicht – wie während Corona – abstrakt über eine Vermögenssteuer fabuliert, die dann Hilfe ermöglichen soll, sondern bereits über konkrete soziale Problemlösungen mit geklärten Finanzen verfügt, d.h. Leute konkret auffängen und solidarisch unterstützen kann.

Und ganz ehrlich: die klimatisch-apokalyptischen Horror-Events, die im Ergebnis dazu führen könnten, dass die gegenwärtige Eigentums- und Vermögensordnung solidarisch umstrukturiert wird, möchte ich erst garnicht erleben. Auch weil dann wahrscheinlich jene „Kipppunkte des Klimawandels“ erreicht sind, in deren Folge ein konstruktiver sozial-ökologischer Umbau kaum noch durchführbar ist.

Meine Frage daher: wie kann den sozial-ökologisch hochgradig destruktiven Narrativen der Neokonservativen und Neoliberalen über Vermögen und Eigentum zeitnah das Wasser abgegraben werden?

Dabei darf nicht vergessen werden, dass diese Eigentums- und Vermögensordnung in sich und jenseits aller Querfinanzierungs-Modelle für Gesundheitskrisen und Klimapolitik bereits global für millionenfache Hungertote, Ausbeutung, koloniale Ausplünderung, Prekarität und soziale Hierarchisierung verantwortlich zeichnet – d.h. bereits in sich eigentlich illegitim genug ist.

3 Jahre Hanau – Erinnern heißt Kämpfen (19.2.2023)

Heute jährt sich der rechtsradikale Anschlag von Hanau zum dritten Mal. Ich habe hierzu ein paar Quellen zusammengetragen, die die erinnerungspolitische Arbeit vieler Initiativen und Einzelpersonen und den multikulturellen, antirassistischen und antifaschistischen Impetus der Erinnerungs-Debatte dokumentieren:

Initiative 19. Februar

Rund um Hanau hat sich direkt nach dem Anschlag die „Initiative 19. Februar“ gegründet, die sowohl die erinnerungspolitische Arbeit als auch den politischen Willen der Angehörigen nach politischer Aufklärung der Tat vorantreibt. Die Arbeit der Initiative könnt Ihr Euch hier anschauen. [–> WEBSEITE DER INITIATIVE]

Bildungsinitiative Ferat Unver

Serpil Temiz-Unvar, die Mutter von Ferat Unvar, einem der Mordopfer von Hanau hat als Reaktion auf die rassistische Ermordnung ihres Sohnes zusammen mit Freund*innen von Ferat eine antirassistische Bildungsinitiative für den Schulbereich in Deutschland gegründet. In einem Interview erzählt sie „von ihrem Sohn Ferhat, der Zeit nach dem Anschlag und ihrem Kampf für eine antirassistische Gesellschaft, den sie ihrem Sohn Ferhat gewidmet hat“.

Migrantische Selbstorganisation von den Angehörigen der Opfer rechter Gewalt

Im Mittelpunkt vieler rechter Anschläge stehen als „fremd“ rassifizierte Deutsche. Für viele Angehörige dieser Opfer ist die migrantische Selbstorganisation ein zentraler Aspekt, um den Schmerz und den fremdenfeindlichen Hass, der aus den Anschlägen hervorgeht, zu bewältigen. Newroz Duman, Aktivistin der Initiative 19. Februar in Hanau und İbrahim Arslan, Aktivist und Überlebender der rassistischen Brandanschläge von Mölln 1992, haben hierüber eine sehr lesenswerte Denkschrift verfasst:

„Mit unseren Kämpfen der vergangenen Jahrzehnte, mit unserem Widerstand und unserer aufbauenden ermutigenden Arbeit, konnten wir weitere Betroffene davon überzeugen, gegen die Gedenkkultur der Behörden, die die Opfer allein als passive Menschen behandeln, aktiv aufzustehen und sich zu wehren. Trotz des Fortlebens der terroristischen Rechten, die nicht aufhört, immer mehr Menschen aus unserer Mitte und unseren Herzen zu reißen, mobilisierten und organisierten wir betroffene Familien. Trotz all dessen und noch viel mehr, haben sich die Betroffenen nicht unterkriegen lassen und es werden mehr und mehr solidarische tragfähige Strukturen erkämpft.“ [–> GESAMTE DENKSCHRIFT]

Trauma und Gewalterfahrung

Jedes rechte Attentat bringt nicht nur Todesopfer, sondern auch traumatisierte Menschen mit sich, die jahrelang mit der Aufarbeitung der rechten Gewalt verbringen. Einen Einblick, was dieses bedeuten kann, gibt das Interview mit Piter Minnemann, der sich in der Bar in Hanau aufhielt, in der mehrere Menschen von dem rechten Attentäter erschossen wurden. Er schildert eine doppelte Ohnmacht: gegenüber dem rechten Anschlag auf sein persönliches Umfeld und dann gegenüber der Ignoranz der zuständigen Behörden:

Verortung des Anschlags von Hanau im rechten und rechtskonservativen Diskurs der BRD

Dunja Ramadan hat 2020 direkt nach dem Anschlag von Hanau einen sehr lesenswerten Kommentar zur Anbindung und Legitimierung rechter Terroranschläge durch die aktuelle Politik der AfD einerseits und den bereits vorher jahrzehntelang von rechtskonservativen Kräften wie der CDU betriebenen, öffentlichen Rassismus gegen Einwander*innen andererseits geschrieben:

„Der rechte Terror von Hanau ist für Menschen mit Migrationsgeschichte keine Überraschung. Er ist das Gegenteil. Er ist eine Saat, die aufging. Die AfD hat den Diskurs um Migration und Islam radikalisiert, aber nicht begonnen. Sie hat zugesehen, wie diese Saat gedeiht. Sie hat die braune Erde, in der sie keimt, gedüngt und weitere Samen ausgebracht. Doch seit Jahrzehnten führen Politiker aller Parteien und viele Medien in Deutschland die immer gleichen Debatten: Sind wir ein Einwanderungsland? Gehört der Islam zu Deutschland? Das sind keine ergebnisoffenen Fragen, die man stellt, weil man sie in einer freien Gesellschaft eben stellen darf und weil man Interesse an einer fruchtbaren Diskussion auf Augenhöhe hat. Das sind Fragen, die spalten und ausgrenzen – die Gräben aufreißen, die sich schwer wieder schließen lassen. Das sind Fragen, die Antworten vorwegnehmen. [–> GESAMTER KOMMENTAR]

Verkürzt: die These von „psychisch kranken Einzeltätern“

Nach vielen rechten Anschlägen werden Psychogramme der Täter*innen erstellt und auf deren vermeintliche psychische Erkrankungen fokussiert, wodurch die Einbettung der jeweiligen rechten Taten in ein Geflecht von rechten Organisationen und rassistischen Diskursen oftmals aus dem Blick gerät. Die Sendung „Monitor“ hat hierzu einen sehr guten kurzen Clip (4:30 min) produziert:

Digitalisierung – News

Auslesen von Handydaten von Geflüchteten rechtswidrig

Die Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) hat eine Geflüchtete darin unterstützt, Klage gegen das Auslesen von Handys zu erheben und diese hat nun Recht bekommen: „Wenn geflüchtete Personen bei ihrer Ankunft in Deutschland keinen gültigen Pass vorzeigen können, liest das BAMF routinemäßig und ohne konkrete Verdachtsmomente Daten von ihren Handys aus, um anhand dieser Identitäts- und Herkunftsangaben zu überprüfen.“. Diese Praxis ist ab nun rechtswidrig [ –> LINK ZUR KLAGE] bzw. darf nicht als gängiges Einstiegsinstrument zur Klärung von Identitäten verwandt werden [–> ARTIKEL IM MIGAZIN].

Automatisierte Datenverarbeitung bei den Sicherheitsbehörden rechtswidrig

Parallel dazu wurde entschieden, dass die in Hessen vorgesehene zentralisierte, automatisierte Verarbeitung von durch die Sicherheitsbehörden präventiv erhobenen Daten z.B. durch den „Staatstrojaner“ rechtswidrig sei. Geklagt hatten die Humanistische Union, die Datenschützer Rhein-Main, das Forum InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Verantwortung und wieder die Gesellschaft für Freiheitsrechte. Dieses Urteil wird weitreichende Konsequenzen für die Polizeigesetze in den anderen Bundesländern haben, da nun genauer geklärt und präzisiert werden muss, wie mit präventiv gespeicherten Daten umgegangen werden darf [–> LINK ZUR KLAGE]

Kampf um Menstruationsdaten in den USA

Seit dem Urteil des US-amerikanischen Verfassungsgerichts, dass Abtreibungen nicht mehr straffrei sein müssen, entwickeln konservative Akteure ein reges Interesse an vor allem durch Gesundheits- und Menstruationskalendar-Apps erhobene Menstruationsdaten, um Frauen wegen illegalisierter Schwangerschaftsabbrüche anzeigen zu können. In Virginia verhinderten die Republikaner gerade einen Vorstoss von Demokrat*innen, die Auswertung dieser Daten zu untersagen. [–> ARTIKEL]

Bereits kurz vor dem Urteil des Supreme Courts hatte der „digital defense fund“ in einer Informationskampagne Frauen* in den USA für die vielfältigen digitalen Spuren zu sensibilisieren, die sie im Falle von Abtreibungen auf ihren Smartphones hinterlassen [–> LINK ZUR KAMPAGNE]. Hier eine anschauliche Grafik dazu:

Aufruf: „Polizeiwache am Kotti. Not welcome.“ (Protest am 15.2.23)

Anlässlich der „feierlichen Eröffnung“ der von vielen Initiativen und Anwohner*innen abgelehnten Polizeiwache am Kottbusser Tor in Berlin-Kreuzberg hat das Bündnis „Kotti für Alle“ [–> LINK] einen Aufruf gegen die Eröffnungsfeier veröffentlicht.

„Am 15.02.2023 eröffnet die neue Polizei-Wache am Kotti. Das ist keine Überraschung, seitdem im Sommer der Mietvertrag unterzeichnet wurde. Trotzdem ist es eine Schande für die Menschen, den Kotti und ein Spiegelbild für die kurze Amtszeit von Franziska Giffey. 

Wie sollen mehr Polizei und mehr Überwachung zu mehr Sicherheit führen? Armut, Drogenabhängigkeit, Kriminalität und Wohnungskrise werden durch Repression nicht gelöst, sondern verdrängt. Wir brauchen soziale Lösungen für soziale Probleme. 

Wir lassen uns nicht entmutigen, für einen Kotti ohne Cops zu kämpfen. Kommt am 15.2. vorbei und organisiert Euch – die „festliche“, zynische Eröffnung der Wache um 10h darf nicht einfach passieren, ohne dass wir vor und während der Eröffnung nochmal zeigen, was wir von ihr halten! 

Kommt darum mit uns am 15.02.2023 ab 9 Uhr an den Kotti. Wir sind wütend und wir sind laut!“ [–> Aufruf auf der Bündnisseite]

Und hier nochmal in bunt zum Teilen:

Staatliche Repression – News

Eröffnung der Polizeiwache am Kottbusser Tor

Gegen den massiven Protest vieler Anwohner*innen soll am 15.2.23 die Bullenwache am Kotti eröffnet werden. Vorgestern waren Bürgermeisterin Giffey und Innensenatorin Spranger (Innensenatorin, auch SPD) dort, um den „Stand der Dinge“ zu begutachten – sie waren angeblich „ganz begeistert“. Vor allem Spranger – deren Law-and-Order-Prestigeprojekt die Kotti-Polizeiwache ist. Hier ein unsäglicher, aber ausführlicher Bericht in der BZ, incl der linken, polizeikritischen Gegenproteste [–> LINK] – und nochmal die Seite des Bündnisses „Kotti für Alle“, das sich explizit gegen die Bullenwache ausspricht [–> LINK].

Hanau-Gedenken und politische Forderungen

Auch 3 Jahre nach dem rechtsradikalen Attentat in Hanau fordern die Betroffenen und Angehörigen der Opfer eine lückenlose Aufklärung von der hessischen Polizei. Die Initiative 19. Februar schreibt hierzu in ihrem Aufruf:

„Der 19. Februar 2020 –  an jenem Tag wurden unsere Liebsten auf brutale Weise aus unserem Leben gerissen. Die Wunden, die dieser Tag in uns hinterlassen hat, verheilen nicht. Jahre, Monate und Tage werden vergehen –  der Schmerz bleibt.

Wir haben versprochen, dass wir keine Ruhe geben werden. Seit drei Jahren tragen wir eure Namen überall hin. Wir erzählen eure Geschichten, klagen über das was passiert ist, das was nicht gesagt wird und das was nicht verhindert wurde. […]

Uns wurde Gerechtigkeit versprochen. Und doch müssen wir auch zum dritten Jahrestag weiterhin nach Konsequenzen fragen, die es immer noch nicht gibt. Der Untersuchungsausschuss, der unsere Fragen beantworten sollte, wird seinem Auftrag nicht gerecht. Wir fragen uns, wie lange wollen hessische Sicherheitsbehörden noch vertuschen, wie lange noch schweigen, wie lange noch ignorieren?

Heute, fast drei Jahre später, wissen wir: die Grenze der Gerechtigkeit heißt Konsequenzen. Ein Mahnmal auf dem Marktplatz gibt es bis heute nicht, wir kämpfen weiterhin darum, dass es ein Mahnmal auf dem Marktplatz gibt. Wir haben selbst recherchiert und aufgeklärt und unsere gemeinsame Ausstellung mit Forensis wird ab dem 1. Februar bis zum 18. März im Hanauer Rathaus sein.“

In Berlin wird am 19. Februar unter dem Titel „Erinnern heisst kämpfen“ eine Kundgebung auf dem Oranienplatz stattfinden, aufgerufen hat ein breites Bündnis antirassistischer und polizeikritischer Initiativen.

Vorher am 7. Februar gibt es eine interessant klingende, von der Berliner Linkspartei organisierte Veranstaltung zu den Grenzen parlamentarischer Aufklärungsarbeit rechtsradikaler Verbrechen und Strukturen durch Untersuchungsausschüsse. Eingeladen sind Saadet Sönmez (Mitglied des Hanau-Untersuchungsausschusses, Linksfraktion Hessen), Seda Başay-Yıldız (Rechtsanwältin, Vertreterin der Nebenklage im NSU-Prozess), Newroz Duman, Initiative 19. Februar, Elif Eralp (Sprecherin für Migration, Partizipation und Antidiskriminierung der Linksfraktion Berlin) und Ferat Koçak (Sprecher für Antifaschistische Politik, Linksfraktion Berlin) [–> LINK ZUR VERANSTALTUNG].

Und schließlich…

Eine gute Karrikatur zum Thema „Polizeiarbeit in Zeiten des Internets“. Künstler: Gerhard Haderer, Ort: Vienna, Austria. Titel der Karrikatur: „The police search for the Dark Web“. Ich musste lachen…

Waffenlieferungen in die Ukraine: Ansätze einer internationalistischen, antimilitaristisch-friedenspolitischen Position im atomaren Zeitalter

Momentan wird in der undogmatischen Linken ernsthaft diskutiert, ob es angemessen sei, Waffen wie Kampfpanzer und perspektivisch auch Kampfjets an die Ukraine zu liefern, um sie gegen den von der russischen Regierung veranlassten Angriffskrieg zu unterstützen – und ihnen einen Verteidigungskampf gegen die Aggression der russischen Führung und gegen eine drohende Besatzung zu ermöglichen.

Ich halte diese Erwägung auch einer Reihe von Gründen für falsch und kontraproduktiv für eine internationalistische Linke, die auf antimilitaristisch-friedenspolitischen Grundsätzen fußt und die geostrategische Situation einer imperialen Konstellation von Atomwaffen-Staaten ernst nimmt.

Krieg ist nicht unschuldig

Erstens hat die Geschichte gezeigt, dass es keinen „sauberen“ oder „unschuldigen“ Krieg gibt, d.h. Waffen zu exportieren, bedeutet den Export von hocheffektiven Tötungsinstrumenten. Wie diese eingesetzt werden, ob gegen russische Soldaten in einer Kampf- und Angriffssituation, gegen russische Soldaten, die sich bereits ergeben haben (Brutalisierung als Effekt von Krieg), oder gegen ukrainische Deserteure, die individuell oder in Gruppen organisiert unerlaubterweise den seit Kriegsbeginn gegenüber Männern mit weniger als 3 Kindern erzwungenen „Dienst an der Waffe fürs Vaterland“ verweigern, kann niemand kontrollieren.

Imperialismus in einer geostrategischen Konstellation von Atomwaffen-Staaten und seine menschheitsbedrohenden Folgen

Zweitens findet der Export von Waffen in einer geostrategischen Situation statt, die polit-ökonomisch stark von imperialistischen Strategien der unterschiedlichen Machtblöcke und technopolitisch von der Entwicklung von Atomwaffen geprägt ist. Das Modell des „Atomkriegs“ ist dabei keine abstrakte Laberei – sondern materiell bereits vollständig vorbereitet, u.a. dafür wurde ja das Internet entwickelt – als Kommunikationssystem für den Fall, dass die Gegenseite eine Atomrakete abschiesst und diese einschlägt. Um es deutlich zu sagen: es reicht eine (!) zwischen den Machtblöcken abgeschossene Atomrakete, um eine digital-automatisierte Kettenreaktion in Gang zu setzen, in der sich künstliche Intelligenzen weltweit mit Atomwaffen beschießen und Milliarden von Menschen sterben werden.

Die zentrale Folge der atomaren Konstellation ist meines Erachtens drittens, dass, wenn ein über Atomwaffen verfügender Staat eine aggressive, imperialistische Politik verfolgt und andere Staaten überfällt, es keine Möglichkeit gibt, diesen aufzuhalten, ohne eine erhebliche Gefährdung von Milliarden in Kauf zu nehmen.

Selbiges hätte auch für den Fall gegolten, dass sich Atomwaffen-Staaten wie Russland oder China auf Seiten der Angegriffenen direkt in den Überfall der USA auf den Irak oder der NATO auf Afghanistan eingemischt hätten. Umgekehrt wird auch China in seiner imperialistischen Strategie gegen Hongkong oder früher Tibet nicht eingeschränkt.

Waffenlieferungen sind sinnlos – linke Politik muss solidarische Rahmenbedingungen von eskalierten Konflikten herstelle

Aus dieser fehlenden Handlungsmöglichkeit innerhalb des Konflikts ergibt sich meines Erachtens, dass Waffenlieferungen sinnlos sind, da sie Eskalationspotentiale unnötig steigern und gleichzeitig zu „Abnutzungskriegen“ führen, in denen nur Menschen sterben (aktuelle Schätzungen: jeweils 100.000 Tote und Verletzte auf russischer wie ukrainischer Seite) und die globale Waffenindustrie massiv finanziell profitiert (siehe Kursentwicklungen der Waffenkonzerne wie Rheinmetall, Heckler & Koch seit Kriegsbeginn). Stattdessen muss sich eine linke, antimilitarische-friedenspolitische Politik auf die Rahmenbedingungen des Konfliktes konzentrieren: Ziel muss ein Massnahmenpaket sein, das sofort und konsequent neue Handlungskorridore für die am meisten Betroffenen im Jetzt und der Zukunft öffnet:

Recht auf Flucht: vom abstrakten Reden über „betroffene Kriegsopfer“ zur praktisch-solidarischen Unterstützung von Geflüchteten

(a) Recht auf Flucht (Transporthilfe beginnend im Fluchtland vor der Haustür) und menschenwürdige Startbedingungen an einem neuen Ort ohne Ghettoisierung und Absprache von Menschenrechten;

Innenpolitische Maßnahmen und Diskurskämpfe in Deutschland

(b) harte Sanktionierung und Schließung von Unternehmen in Deutschland, die trotz des Eskalationspotentials und teilweise sogar trotz Exportverboten Waffen in aktive Konfliktregionen liefern;

(c) konsequente Bekämpfung von rassistischen, post-kolonialen, nationalistischen, personalisierten Diskursen in Deutschland, die eine polarisierende und verengte Deutung der Konfliktsituation vornehmen,

(d) konsequente Bekämpfung von kriegsverherrlichenden Deutungen von Konfliktsituationen, sei es durch „gamification“ (wer gewinnt?), Technisierung und Enthumanisierung (Abnerden über Waffentypen, siehe Hofreiter), „Vaterlandsverteidigung“, „Heldenepen“ usw. Seit dem 1. Weltkrieg hat die Geschichte gezeigt, dass Krieg unter den Bedingungen industriell-entwickelter Waffenproduktion für die Überlebenden vor allem Trauma, Verlust an Toten und Erfahrungen sexualisierter Gewalt bedeuten, die aktuellen Forschungen zufolge bis in die 3. Generation als Traumata weitergegeben werden. Dazu gibt es die Erfahrung des Holocaust, als die Sicherheit, dass wenn Leute wie die Deutschen damals von „rationaler Kriegsführung“ reden, es auch bedeuten kann, industriellen Massenmord von Opfergruppen zu organisieren. Es gibt hier aus meiner Sicht nichts zu beschönigen.

Außenpolitische Strategien und de-eskalierende Selbstreflexion

(e) internationale Ächtung des Angriffsstaats auf diplomatisch, sportpolitischer, kulturpolitischer u.v.m Ebene,

(e) konsequente Vorbereitung einer langjährigen materiellen, sozial- und gesundheitspolitischen Unterstützung für jene, die als Zivilbevölkerung oder Kämpfende im Angegriffenen-Land bleiben wollen;

(f) Selbstreflexion auf eigene außenpolitische/imperialistische Strategien: inwiefern wird eigenes außenpolitischen Handeln selbst von anderen Staaten strukturell als „kriegerischer Angriff“ oder „imperialistische Bedrohung“ gedeutet? Siehe: grüne Diskurse um angebliche „humanitäre Intervention“ (Kosovo, Afghanistan); Truppenmanöver und –übungen (EU/NATO an der Ostgrenze); „Demokratisierungsbemühungen“ / „westliche Werte in die Welt“ („failed states“-Debatte, vor allem gegenüber Afrika, aber auch gegenüber der „Diktatur im Irak“); Entwicklungshilfe als Wirtschaftshilfe bzw. Exportstrategie zur Absicherung von unternehmerischen Profiten in Deutschland, international verstanden als ökonomische Kolonisierung und erzwungene Dependenz

(g) Evaluierung langjähriger eigener Außenpolitik: mit welchen potentiellen Angriffsstaaten werden warum enge politische Verbindungen gepflegt? Beispiel: Russland war langjähriger strategischer Partner von Deutschland, trotz des Wissens um aggressive Aussenpolitik gegenüber Anreiherstaaten und trotz des Wissens um Autoritarisierungstendenzen in Russland, Mord an Oppositionellen / Journalist*innen, Verfolgung von queers. Partnerschaft wurde aber gemacht (siehe Schröder-Mafia), um energiepolitische Unabhängigkeit von den USA zu erhalten, auch im Sinne eines starken „politischen Machtblocks Europa“ – bis zum Kriegsbeginn durch Russland.