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Russland-Ukraine-Konflikt: linke Positionen

Im Folgenden sollen erneut Positionen anti-militaristischer und friedenspolitischer Gruppen zum russischen Angriffskrieg auf die Ukraine dokumentiert werden.

Anti-Imperialistische Positionen: Solidarität mit linken ukrainischen Gruppen

Ein internationales Autor*innen-Kollektiv hat in Reaktion auf einen Artikel, der eine quasi-Kapitulation der ukrainischen Armee angesichts der russischen Übermacht und der zerstörerischen Kriegsdynamik fordert, im August eine anti-imperialistische Position ausformuliert, die sich auf die linken Kräfte in der Ukraine als Bezugspunkt linker deutscher Politik stützt. Die innerukrainische Linke sei weder mit der ukrainischen Regierung gleichzusetzen noch mit den Interessen der NATO im Russland-Ukraine-Konflikt. Stattdessen müsse eine solidarische Perspektive die Selbstbestimmungsansprüche jener linken ukrainischen Kräfte in den Blick nehmen und diese unmittelbar stärken:

„Die ukrainische Bevölkerung führt keinen »Stellvertreter-Krieg« der Nato gegen Russland, sondern kämpft für ihre eigene Unabhängigkeit sowie für demokratische und soziale Rechte, die sie unter russischer Besatzung verlieren würde. Die verheerende Menschenrechtssituation in den sogenannten Volksrepubliken im Donbas ist als wahrscheinliche Perspektive unter einem Besatzungsregime Drohung genug.“

Das Autor*innen-Kollektiv äußert sich nicht zur Frage von staatlichen Waffenlieferungen, sondern verweist zum einen darauf, wie stark die Ukraine ein Knotenpunkt der polit-ökonomischen Interessenslagen unterschiedlicher internationaler Akteure ist, und welche Eigeninteressen linke Akteure in der Ukraine im Unterschied dazu haben. In diesem Spannungsfeld müssten internationale solidarische Beziehungen etabliert werden:

„Unsere Solidarität gilt dem bewaffneten und unbewaffneten Widerstand der ukrainischen Bevölkerung gegen die russischen Besatzungstruppen. Ganz besonders unterstützen wir die Feminist*innen, Sozialist*innen und Anarchist*innen, die sich sowohl mit zivilen als auch militärischen Mitteln politisch eigenständig an diesem Widerstand beteiligen. Wir solidarisieren uns mit den Gewerkschaften und sozialen Bewegungen in der Ukraine, die sich der neoliberalen Wirtschaftspolitik widersetzen und für einen sozialökologischen Wiederaufbau einstehen. Wir stehen selbstverständlich auch an der Seite der sozialistischen, feministischen und anarchistischen Kräfte in Russland und Belarus, die sich ihren Herrschern trotz großer Gefahren und Risiken mutig widersetzen.“ [–> ARTIKEL]

Antimilitaristische Debatte zu Waffenlieferungen in die Ukraine

Die Hamburger Gruppe „Blauer Montag“ hat in der August-Ausgabe von Analyse & Kritik eine dezidierte Kritik pauschaler deutscher Waffenlieferungen an die Ukraine formuliert:

„Wir haben auch keine Antworten darauf, wie der Krieg beendet werden kann und was der Beitrag der marginalisierten deutschen Linken dafür wäre. Aber eine Unterstützung der politischen Klasse in Deutschland beim Export von Waffen in diesen Krieg ist aus unserer Sicht eine Preisgabe bisheriger antimilitaristischer Grundpositionen und keinesfalls ein Akt internationaler Solidarität mit »der Linken« in der Ukraine.“

Statt dessen müsse eine anti-militaristische Debatte eine konkrete Folgeabschätzung deutscher Waffenlieferungen vornehmen, und diese qualitativ einordnen: „Das Mindeste, was wir uns selbst als antimilitaristische Linke in Deutschland und auch die Genoss*innen in der Ukraine fragen müssen, ist doch, was die Forderung nach Waffenlieferung in der jetzigen Situation konkret bedeutet: Kommen die Waffen in die Hände linker Bewegungen oder sind es Waffenlieferungen für die ukrainische Armee? Welche Haltung hat eine Linke hierzulande und in der Ukraine, die in der jetzigen Situation für Waffenlieferungen und damit für eine militärische »Lösung« eintritt, zu Kriegsdienstverweigerung und Desertion?“

Diese Fragen seien im scharfen Gegensatz zum grünen Militarismus der Grünen essentiell für eine anti-militaristische Debatte, nicht zuletzt wegen der dort immer wiederholten Banalisierung der Kriegsfolgen: „Ein Krieg ist keine Hinterhofschlägerei. Der Krieg verwüstet Territorien, Gesellschaften und Menschen, und zwar auf Jahre und Jahrzehnte. Niemand geht aus einem Krieg unbeschadet heraus, weder Sieger*innen noch Besiegte.“ [–> ARTIKEL]

Antimilitarische Praxis: Beispiele

Die Informationsstelle Militarisierung hat eine lesenswert Übersicht von 6 antimilitaristischer Gruppen und deren Handlungsfeldern veröffentlicht, u.a. „rheinmetall entwaffnen“ und das „RüstungsInformationsbüro“. [–> ÜBERSICHT]  

IPPNW: Zivile Konfliktlösungsmöglichkeiten

Die „IPPNW – Deutsche Sektion der Internationalen Ärzt*innen für die Verhütung des Atomkrieges, Ärzt*innen in sozialer Verantwortung“ hat Ende August eine sehr lesenswerte Broschüre über die unterschiedlichen zivilen Handlungsmöglichkeiten und Forderungen zum Russland-Ukraine-Krieg herausgebracht. Dieser liefert sowohl eine sehr gute historischen Einführung in die bisherigen verhandlungspolitischen Versuche, den Konflikt zwischen Russland und der Ukraine vor und nach dem Kriegsausbruch diplomatisch zu lösen – und lotet die Spielräume aus, diesen Weg konsequent weiterzuverfolgen.

Dabei wird deutlich wie komplex die geostrategische Einbindung des Russland-Ukraine-Konflikts in die Interessenslagen anderer Bündnisse wie der NATO, oder Staaten wie der Türkei oder Deutschlands ist – und wie gering bei dem aktuellen Kriegsverlauf die „Verhandlungsmasse“ zwischen Russland und der Ukraine ist. Dennoch dürfe das Ansinnen einer zivilen Konfliktlösung nicht aufgegeben werden.

In diesem Sinne analysiert der Bericht auch die immer weiter zunehmende Kriegsdynamik: von der hohen Anzahl von Kriegsopfern, vom im Westen immer beschworenen „Mythos erlösender Gewalt“, der mit laufendem Kriegsgeschehen immer weiterzunimmt, über schärfer werdende Feindbilder bis zur Gefahr eines Atomkrieges. [–> Broschüre]

Konferenz: der Ukraine-Krieg und Aufrüstung

Die „Informationsstelle Militarisierung“ veranstaltet Ende November eine Konferenz, die sich mit der geostrategischen Einordnung des Russland-Ukraine-Kriegs und den Folgen für die globale militärische Infrastruktur beschäftigt, wobei der Schwerpunkt auf der deutschen Bundeswehr liegt: 

„Im Jahr des russischen Angriffs auf die Ukraine wird sich der Kongress der Informationsstelle Militarisierung mit der Vorgeschichte des Konflikts und den Folgen insbesondere in Deutschland auseinandersetzen. Abseits der konkreten Gefechte und Frontverläufe wird der Krieg in der Ukraine als Konflikt der Großmächte und Stellvertreterkrieg analysiert und ein genauerer Blick auf westliche Sanktionen und Waffenlieferungen geworfen. Auch die zahlreichen Reformen der NATO- und Bundeswehrstrukturen und die Verwendung der deutlich erhöhten Rüstungsausgaben werden ausführlich aufgearbeitet.

Schon jetzt ist zudem absehbar, dass interessierte Kreise auf eine Verstetigung des Bundeswehr-Sondervermögens drängen werden, eine Auseinandersetzung, die in wenigen Jahren von zentraler Bedeutung sein wird und auf die es bereits heute gilt, sich vorzubereiten. Wir wollen jedoch auch einen Blick auf die möglichen Alternativen werfen: Welche Konzepte bestehen für den gewaltfreien Widerstand gegen Krieg und Besatzung, welche „Sicherheitsarchitekturen“ können ein friedliches Zusammenleben in Europa ermöglichen und welche Aufgaben bestehen aktuell für die Friedensbewegung?“ [–> Kongress-Seite]

Petition: Schutz und Asyl für Deserteure und Verweigerer

Der anti-militaristische Verein Connection e.V. hat zusammen mit anderen NGOs eine Petition gestartet, die die europäische Kommission, den Rat und das Parlament aktiv dazu auffordert, Deserteuren und Kriegsdienstverweigerer*innen aus der Ukraine, Russland und Belarus politischen Schutz und Asyl zukommen zu lassen.

Aus dem Petitionstext: „Wir forden Sie auf: Geben Sie Deserteuren und Verweigerern aus Belarus und der Russischen Föderation Schutz und Asyl! Fordern Sie die ukrainische Regierung auf, die Verfolgung von Kriegsdienstverweigerern einzustellen und ihnen ein umfassendes Recht auf Kriegsdienstverweigerung zu garantieren! Öffnen Sie die Grenzen für diejenigen, die sich unter hohem persönlichen Risiko in ihrem Land gegen den Krieg stellen!“

Zielstellung der Petition ist es, den internen Widerstand gegen jegliche Form von Kriegshandlungen zu unterstützen, und dadurch eine Friedensdynamik zu erzeugen. [–> Petition]

Überblick: Anzahl der wehrpflichtigen, geflüchteten Männer* aus Russland, Ukraine, Belarus

Der Verein Connection e.V. hat versucht, die Anzahl jener wehrpflichtigen Männer* zu schätzen, die seit Kriegsbeginn aus dem Konflikt geflüchtet sind. Insgesamt kommt die NGO auf ca. 150.000 geflüchtete Wehrfähige aus Russland (bis zur Teilmobilmachung), ca. 145.000 Geflüchteten aus der Ukraine und ca. 22.000 aus Belarus. Gleichzeitig betont sie die hohe Dunkelziffer, da insbesondere viele Geflüchtete aus der Ukraine sich angesichts der kriegseuphorischen Diskurse vor Sanktionen oder Stigmatisierungen fürchten würden:

„In der Öffentlichkeit ist kaum bekannt, dass so viele Männer aus der Ukraine geflohen sind, die sich dem Kriegseinsatz entziehen. Es gibt auch fast niemand, der mit seiner Geschichte (auch anonymisiert) an die Öffentlichkeit gehen will. Bei Connection e.V. erhalten wir fast täglich Anfragen zu ukrainischen Verweigerern, fast immer aber von Angehörigen oder Freunden, ganz selten von den Betroffenen selbst.

Wir gehen davon aus, dass zum einen das öffentliche Interesse viel stärker fokussiert ist auf die Verweigerung in Russland (und Belarus). Zudem haben die ukrainischen Verweigerer aktuell keinen Anlass, darüber zu sprechen, da sie in der Europäischen Union zumindest befristet einen humanitären Aufenthalt bekommen. Darüber hinaus befürchten sie wohl Diffamierung und die Brandmarkung als Verräter und bleiben daher lieber im Hintergrund.“ [–> BERICHT]

Linke Medienkiste #34

 

CRITICAL WESTNESS: GESCHICHTE RECHTEN TERRORS IN DER BRD

Im Gedenken an die rechtsradikalen Pogrome in Rostock-Lichtenhagen als Beispiel für rechte Politik in Ostdeutschland im Jahr 1992 wird oft vergessen, dass in den 1980er Jahren bereits eine Welle rechtsterroristischer Aktionen in der damaligen BRD stattfand. Der Artikel von Ulli Jentsch aus dem Antifa-Infoblatt von 2010 beleuchtet diese und kommt zu folgendem Schluss:

„Der Beginn der 1980er Jahre war die blutigste Zeit des Rechts-Terrorismus, in Deutschland ähnlich wie in Frankreich oder Italien. Ein europäisches Netzwerk hatte sich während der 1970er Jahre formiert, verfügte über Verbindungen zwischen den wichtigsten Filialen des Terrors und auch über personelle Kontakte. Allein bis 1982 wurden von den bewaffneten Neonazi-Terroristen in Deutschland über 20 Menschen ermordet, auch einige Neonazis ließen ihr Leben. Eine Handvoll Organisationen mit einigen Dutzend AktivistInnen agierte erstaunlich selbstbewusst, zum Teil öffentlich; sie besaßen ein Reservoir jugendlicher SympathisantInnen in Wiking-Jugend und Jungen Nationaldemokraten. […]

Die Rolle der alten Nazis im Polizeiapparat, vor allem in den Kriminalpolizeien der Städte und Gemeinden, ist in diesem Zusammenhang völlig unerforscht. Viele Ermittlungsbehörden blendeten die politische Motivation der Täter aus und erklärten sie schnell zu psychopathischen Einzeltätern. Die Suche nach Hintermännern blieb AntifaschistInnen und engagierten JournalistInnen überlassen.“ [–> LINK ZUM ARTIKEL]
 
 

ROSTOCK-LICHTENHAGEN

Katharina Warda zeichnet in ihrem lesenswerten Artikel „Eine Stadt, ein Pogrom und die Gegenwehr“ die Ereignisse rund um die rechten Anschläge in Rostock-Lichtenhagen nach. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Perspektive Betroffener, der Gegenwehr von antifaschistisch organisierten Kräften vor Ort, der Frage, wie sich Rostock seit den Pogromen verändert hat und der Bedeutung von Rostock-Lichtenhagen für die bundesdeutsche Geschichtsschreibung:   

„Der Historiker Poutrus bezeichnet Rostock-Lichtenhagen als konstitutives Moment, als „innere Staatsgründung“ der Berliner Republik. Fester Bestandteil: die Das-Boot-ist-voll-Rhetorik. Die SPD stimmt einem faulen Asylkompromiss zu. „Das Thema wird als politisches Problem behandelt, nicht als humanitäre Frage, und unabhängig davon, welchen Gefahren die eigentlichen Betroffenen ausgesetzt sind,“ sagt Poutrus. „Bezeichnend für dieses Moment ist auch die Straflosigkeit der Tä­te­r:in­nen, die eine Art Normalisierung und Legitimation erfahren haben.““ [–> LINK ZUM ARTIKEL]
 
 
 
SEXUALISIERTE GEWALT IN LINKEN STRUKTUREN
 
Bilke Schnibbe stellt in ihrem für Analyse & Kritik verfassten Artikel „Verräter gehen, Vergewaltiger bleiben“ anlässlich des Umgang mit Johannes Domhöver, einem Angeklagten aus dem Antifa-Ost-Verfahrens, dem sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden, die Frage, warum der szeneinterne Umgang mit Leuten, die mit der Polizei zusammenarbeiten, und jenen, denen sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden, so unterschiedlich ist.
 
 
Schnibbe reflektiert dabei entlang eigener Erfahrungen die unterschiedlichen Formen feministischer Selbstorganisierung im Hinblick darauf, wie Betroffene sexueller Gewalt unterstützt werden können und wo die Möglichkeiten und Grenzen von „linker Täterarbeit“ liegen. Dieses bezieht sich auf die ressourcenintensive langfristige Auseinandersetzung mit jenen, denen sexuelle Übergriffe vorgeworfen werden – und dem Umstand, dass Versuche, solidarische Bezüge zu etablieren und Reflektionsprozesse anzustossen von den Beschuldigten unterlaufen werden können. [–> LINK ZUM ARTIKEL
       
 
SEXUELLE ÜBERGRIFFE
 
 
Spiegel-Online berichtet über ein von kanadischen Feministinnen entwickeltes Handzeichen, das in konkreten Übergriffssituationen als Notsignal helfen soll: 
 
„Es ist eine simple Geste, aber sie bietet Opfern von Gewalt die Möglichkeit, heimlich Hilfe zu rufen: Erst wird die Handfläche geöffnet und der Daumen nach innen angewinkelt. Anschließend werden die restlichen Finger auf den Daumen gelegt, sodass eine Faust entsteht. Auf diese Weise hat eine 14-Jährige in Rheinland-Pfalz auf eine mutmaßliche Vergewaltigung hingedeutet. […]
 
Ausgedacht haben sich diese Bewegung Frauen der »Canadian Women’s Foundation« . Die Organisation setzt sich für Geschlechtergerechtigkeit in Kanada ein – und entwickelte das »Violence At Home Signal For Help« im Jahr 2020. Der Hintergrund: In der Pandemie hatten sich Fälle häuslicher Gewalt seither vervielfacht.“
 
Dieses Signal wurde von einer jungen Frau in Ludwigshafen in einer Übergriffssituation so verwandt, dass Passant*innen Hilfe holten. [–> LINK ZUM ARTIKEL]

30 Jahre rechtes Pogrom in Rostock

CHRONOLOGIE DES POGROMS

Der Dokumentarfilm „Die Wahrheit lügt (liegt) in Rostock“ von 1993 rekonstruiert die Ereignisse aus dem August 1992. Aus der Selbstbeschreibung des Films: 

„Die Videoproduktion „The Truth lies in Rostock“ entstand 1993 unter maßgeblicher Beteiligung von Menschen, die sich zum Zeitpunkt der Geschehnisse im attackierten Wohnheim befanden. Deshalb zeichnet sich die Produktion nicht nur durch einen authentischen Charakter aus, sondern versteht sich auch Jahre danach als schonungslose Kritik an einer Grundstimmung in der bundesrepublikanischen Gesellschaft, die Pogrome gegen Migranten oder einfach nur „anders aussehende“ überhaupt erst möglich macht.

Eine Montage von Videomaterial, gedreht aus den angegriffenen Häusern heraus, Interviews mit Anti-FaschistInnen, den vietnamesischen VertragsarbeiterInnen, der Polizei, mit Bürokraten, Neonazis und Anwohnern. Eine Dokumentation über das heimliche Einverständnis der Politik und über die verbreitete Angst.“

CRITICAL WESTNESS

Die rechtsradikalen Mobilisierungen und Gewalttaten der frühen 1990er Jahre werden meist als „ostdeutsches Phänomen“ verstanden, obwohl mit Solingen und Mölln zwei westdeutsche Städte unter den prominentesten Orten sind, an denen rassistische, rechte Morde passierten. Die Historikerin Franka Maubach setzt sich daher kritisch mit der stereotypen, west-entlastenden Perspektive auf die Pogrome in Rostock auseinander: 

„Statt das Geschehen von den Tätern und ihren Taten her zu erzählen, sollten wir es von den Opfern her aufschlüsseln. Und statt Lichtenhagen bloß als ostdeutsche Geschichte zu verstehen, sollten wir die Kontinuitätslinien nachziehen, die nicht nur in die DDR, sondern gerade auch in die alte Bundesrepublik führen. Denn der Diskurs über Ost- als Dunkeldeutschland bot und bietet eine bequeme Ausrede, sich nicht mit dem spezifischen Rassismus Westdeutschlands auseinandersetzen zu müssen, der vor allem in den Achtzigerjahren virulent wurde. Mit der Vereinigung wuchsen dann der ostdeutsche und der westdeutsche Rassismus zusammen, verstärkten einander und stießen eine Gewaltdynamik an, die beide Teile Deutschlands erfasste und bis heute prägt.“ [–> LINK ZUM ARTIKEL]

ERFAHRUNGSBERICHTE

Fabian Hillebrand und Vanessa Vu haben für Zeit-Online unter dem Titel „Das Pogrom und wir“ eine Reihe von eindrücklichen Erfahrungsberichten von jenen zusammengetragen, die als Betroffene oder als Zeug*innen bei dem Pogrom dabei waren. Ein Beispiel hier, der Rest im Artikel [–> LINK]. 

ERINNERUNGEN AUF SOCIAL MEDIA

Ich habe mal auf social media nach posts geschaut, die sich mit der linken Erinnerung an die Pogrome von Rostock und Schlüssen für die heutige politische Situation in Deutschland auseinandersetzen. Hier eine kleine Auswahl: 

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[–> LINK ZUR DEMO-WEBSITE MIT AUFRUF]

MIGRANTISCHE PERSPEKTIVEN

Massimo Perinelli beschreibt in einem sehr lesenswerten Beitrag migrantische Perspektiven auf die Pogrome in Rostock im Jahr 1992. Diese besteht zum einen in den Erfahrungen gewalttätiger Übergriffe rechter Gruppen auf migrantisch gelesene Personen und der offenen Zustimmung und Unterstützung von Teilen der lokalen Bevölkerung hierzu: 

„Das Pogrom begann am 22. August, einem Samstag, als Neonazis anfingen, die Menschen vor dem Haus anzupöbeln und zu schlagen. Mehr und mehr Anwohner*innen kamen hinzu und feuerten die Täter an. Die Angriffe steigerten sich in der Nacht und wurden am Sonntag mit zunehmender Brutalität fortgeführt. Als am Montag die Flüchtlinge unter starkem Polizeischutz evakuiert wurden, feierte der Mob. Der »Abtransport«, wie es damals polizeideutsch hieß, bedeutete für viele Roma faktisch die Abschiebung. Ihre erzwungene Abwesenheit in der erinnerungspolitischen Auseinandersetzung mit dem Pogrom führt bis heute dazu, die antiziganistische Dimension dieses Verbrechens zu übersehen. […] 

In Lichtenhagen ging der Mob am Montagabend mit Steinen und Molotowcocktails schließlich gegen das Sonnenblumenhaus vor, in dem circa 150 ehemalige Vertragsarbeiter*innen aus Vietnam wohnten, unter ihnen auch Kinder. Die Polizei zog ab, während die Nachbarn die Rettungswege zu den angrenzenden Häusern mit Eisenketten versperrten.“ 

Die Betroffenen leisteten jedoch zum anderen direkten Widerstand gegen die Angriffe und organisierten sich nach dem Pogrom in eigenen Organisationen, die eine juristische und politische Aufarbeitung einforderten: 

„Wie Nguyen Do Thinh, ein Bewohner des Sonnenblumenhauses, unlängst in einem Interview mit »Zeit-Online« betonte, war es vor allem die entschlossene und disziplinierte Gegenwehr der Vietnames*innen selbst, die eine Erstürmung des Hauses und letztlich den Tod von über 100 Menschen verhinderte und schließlich auch die Flucht vor dem Feuer über das Dach ermöglichte. Nur wenige Tage später gründeten die Überlebenden den Verein Diên Hông – Gemeinsam unter einem Dach, der bis heute eine maßgebliche Rolle bei der Aufarbeitung dieses Pogroms spielt.“ [–> LINK ZUM ARTIKEL]

Umbenennung des Heinrichsplatz in Kreuzberg in Rio-Reiser-Platz

Ich hatte gestern eine längere Debatte über die Einweihung des „Rio-Reiser-Platzes“ in Kreuzberg, Ex-Heinrichsplatz. Ich war dagegen, primär weil sich Kiez-Anwohner*innen darüber beschwert haben, dass eine Art linke Folklore um Rio und Ton Steine Scherben in Kreuzberg etabliert wird, während sie selbst einem massiven Gentrifizierungs- und Verdrängungsdruck unterliegt und wegziehen müssen. Im Ergebnis empfinden viele Leute rund um den Ex-Heinrichsplatz die „linke“ Platzumbenennung als „zynisch“ – auch weil natürlich linke Folklore selbst teil von Gentrifizierungs- und Aufwertungsprozessen ist.

Hinzu kommt, dass Akteure, die eigentlich etwas gegen Gentrifizierungsprozesse und die kapitalistische Zurichtung Berlin tun müssten, es aber nicht tun, weil sie selbst Teil eines neoliberalen Blocks sind, in dem Prozess der Umbenennung stark sichtbar sind und das „links sein“ für sich reklamieren. Symbolisch kann hier vielleicht die Beteiligung von Claudia Roth von den Grünen bei der heutigen Umbenennungsfeier genannt werden. Roth, die Teil der HartzIV-Regierung war, die zur massenhaften Verarmung von Leuten geführt hat; Roth, die Mitglied bei den Grünen ist, die in Berlin den Enteignen-Volksentscheid nicht konsequent umsetzen, sondern sich von der Giffey-und-Geisel-SPD am kapitalorientierten Gängelband durch die Koalitions-Manege führen lassen; Roth, die mal Managerin von Ton Steine Scherben und damit direkter Teil der Geschichte von Rio Reiser und linker Kulturproduktion in D war; und Roth, die jetzt in der neuen Ampel-Regierung die Kulturbeauftragte ist, und die nun für sich behaupten kann, dass in ihrer Amtszeit die Umbenennung des Platzes in „Rio-Reiser-Platz“ stattgefunden hat, und somit durchaus „progressive Dinge“ passieren. Was natürlich nicht so ist. Die Gentrifizierung Berlins geht immer weiter voran, mit allen bitteren sozial- und kulturpolitischen Folgen.

Mein Gesprächspartner fand meine Position zu negativ und defätistisch, und hat darauf beharrt, dass es wichtig ist, von links in solche Prozesse zu intervenieren, und nicht den Kopf in den Sand zu stecken. Auch weil jener „Heinrich“, nach dem der Platz bisher benannt war, wahrscheinlich ein König war. Haha, good point. Und er hat die Frage gestellt, was denn eine adäquate linke Aktions- und Praxisform gegen und in eine neoliberale Stadtpolitik mit linkem und linksliberalem kulturpolitischen Anstrich ist, die aber systematisch die sozialpolitische Frage ausblendet.

Die Frage fand ich sehr berechtigt, aber mehr als (a) ein Dixi-Klo während der Einweihungsfeier auf den Platz zu schieben und anzuzünden und anzuzeigen, dass das eine angemessene Form wäre, um Rio und den Scherben in der aktuellen Situation Berlins zu gedenken, oder (b) ein Transpi zu malen, auf dem steht „Wir brauchen keinen Rio-Reiser-Platz – Wir müssen hier raus!“ oder (c) das „Reiser“ mit „Grande“ zu überkleben, ist mir auch nicht eingefallen 😉.

Vielleicht fällt euch ja was ein. Ich hab diesen Beitrag nur geschrieben, um zu kommunizieren, dass die Platzumbenennung sehr umstritten ist, und dass ihr Euch nicht unmittelbar folkloristisch abholen lasst, wenn ihr die Plakate für die Einweihungsveranstaltung seht oder von der Umbenennung hört.

Linke Medienkiste #33

KLIMAKRISE UND KLIMADEPRESSION

der klima-aktivist tadzio müller hat einen grandiosen text über klimadepressionen geschrieben, der einen schonungslosen einblick in die seele jener bietet, die sich seit jahrzehnten täglich mit dem thema beschäftigen und links-aktivistisch wirken wollen:

„Was mal wieder zeigt, so richtig ehrlich gehen wir nur selten damit um, was es eigentlich mit uns anstellt, mitten in der Realität der Klimakatastrophe zu leben. Noch schlimmer, wir Klimaaktivist:innen sind uns dieser Realität jeden Tag vollständig und dauerhaft bewusst, können sie nicht, wie der Großteil der Normal- oder auch Mehrheitsgesellschaft regelmäßig verdrängen oder gar leugnen. Man muss sich den Klimaaktivisten, man muss sich mich, also als einen verzweifelten Menschen vorstellen. Anders formuliert: Ich bin ziemlich sicher, dass ich seit ungefähr zwei Jahren tief in einer Klimadepression stecke.“ [–> LINK ZUM TEXT]

RISEUP – DER FILM

ich hab donnerstag den „riseup“-film vom leftvision kollektiv gesehen, und fand den mega. sowohl stilistisch – der film war weder trocken noch optisch überladen – als auch inhaltlich durch die coole auswahl der interviewten und behandelten themen.

wenn der bei euch irgendwo läuft: einfach reingehen, eine echte bereicherung! [–> LINK ZUR FILM-WEBSITE MIT PREVIEW TERMINEN]

SCHWULE BEWEGUNG

das schwule museum kreuzberg zeigt bis ende oktober eine ausstellung über das „tuntenhaus“, ein von schwulen linksradikalen anfang der 1990er jahre für ein halbes jahr besetztes haus in ost-berlin. marco ebert hat eine sehr lesenswerte rezension geschrieben, die die ausstellung und die geschichte des tuntenhauses aus linker perspektive einordnet: 

“ Von der bürgerlichen Schwulenbewegung, die als kommerziell wahrgenommen wurde, grenzten sich die Bewohner des Tuntenhauses ab. Statt eines Aktivismus, der sich in der Frage um Repräsentation und Iden­tität erschöpft, war die Idee des Tuntenhauses immanent politisch. Die Enge der schwulen Subkultur war als eine Scheinfreiheit entlarvt worden, mit der man sich nicht zufriedengeben konnte. Die Kritik der Tunten galt dem Wunsch bürgerlicher Homosexueller nach bloßer Teilhabe an einer Gesellschaft, die auf Unterdrückung und Ausbeutung beruht. Die Diskriminierung von Schwulen sollte im Zusammenhang mit Klassengesellschaft und Patriarchat verstanden und kritisiert werden.

Das Gros der Bewohner verstand sich als schwule Kommunisten und zielte auf eine neue Gesellschaftsordnung. Sie lehnten die sogenannte Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten ab und wollten einen anderen, besseren Sozialismus als den Staatskapitalismus der DDR – Positionen, die es auch in der linken DDR-Opposition gab und die heut­zutage weitestgehend von schwarzrotgoldenen Jubelbildern aus der ­offiziellen Erinnerungspolitik verdrängt worden sind.“

TECHNO

kritische, aber sehr wohlwollende rezension einer ausstellung über die geschichte des techno im fhain-kreuzberg-museum (am kottbusser tor, bis 11.09.) – ausgehend von seinen roots in der black community von detroit bis zur mehrheitlichen weißen und stärker kommerzialisierten aneigung in berlin.

fazit: techno muss ein kampffeld für jene subkulturellen akteure bleiben, die diesen im sinne eines anti-rassistischen, anti-patriarchalen und antikapitalistischen zukunftsprojekts verstehen und leben wollen: 

„Die Ausstellung erzählt die Geschichte des kometenhaften Aufstiegs des Techno in Berlin als eine Geschichte der kulturellen Aneignung und Ausbeutung, genauso aber auch der Auflehnung dagegen. Zugleich führt die Ausstellung hinein in die Tiefe der lokalen Techno-Szene im postfordistischen Detroit, zu der gerade auch weibliche Produzentinnen und DJs wie die im vergangenen Jahr verstorbene K-Hand gehörten, die für die Entstehung und Etablierung von Techno nicht weniger prägend waren, deren Wege aber ungleich seltener nach Berlin und Europa führten.  [–> LINK]

Linke Medien-Kiste #32

KLIMAKRISE: HITZE

Der Deutsche Wetterdienst hat eine Übersicht über die Anzahl der Hitzetage in Deutschland seit dem Jahr 1961 veröffentlicht, derzufolge ein steter Anstieg der Hitzetage zu beobachten ist.  

SEXISMUS IM DEUTSCH-RAP

Marc Bädorf hat für den Deutschlandfunk unter dem Titel „Ich habe zwanzigmal nein gesagt“ ein sehr hörenswertes Feature über Sexismus und #metoo im Deutsch-Rap erstellt, in dem u.a. Lena Stoehrfaktor und Babsi Tollwut zu Wort kommen. Dabei geht es sowohl um dominante Formen von Männlichkeit* im Rap, die sich nicht nur über Sexismus, sondern auch über die Achsen Klasse und Rassismus definieren, und die Frage, wie Deutsch-Rap vor #metoo strukturiert war und sich nun neu aufstellen sollte:

„Es geht auch darum, wie Rap aussehen soll: Was ist noch authentisch? Wieso werden die antifeministischen und antiemanzipatorischen Texte, die es bei fast jedem deutschen Rapper regelmäßig zu hören gibt und die teils plump daherkommen, so verherrlicht? Und was bedeutet das alles für Frauen in der Szene?“ [–> LINK]

TRÄUME VON DER LINKEN ZUKUNFT

Das linke Filmkollektiv Leftvision hat einen Interview-Dokumentarfilm über linke politische Umbrüche und die globalen Lehren und Erfahrungen daraus gedreht. Der Film startet Mitte Juli als Preview in unterschiedlichen Städten [–> Filmwebsite

VERGESELLSCHAFTUNG

Nelli Tügel und Jan-Ole Arps haben für die Rosa-Luxemburg-Stiftung am Beispiel Wohnungspolitik eine Argumentationshilfe zum Thema Vergesellschaftung verfasst. Dabei geht es nicht nur um die Bedeutung des Begriffs, sondern vor allem die Entkräftung der Argumente gegen eine Vergesellschaftung von Wohnungraum:

„Enteignung? Ein Instrument aus der DDR-Mottenkiste! Eingriffe ins Privateigentum? Verfassungswidrig! Die fällige Entschädigung? Viel zu teuer! Und überhaupt schafft Enteignung keine einzige Wohnung, während so dringend neu gebaut werden muss. In dieser Broschüre wird deutlich, dass solche und andere Behauptungen auf wackeligen Füßen stehen. Die Autor*innen erläutern die Komplexität des Vorhabens und die Möglichkeiten der Vergesellschaftung als Mittel zur Verwirklichung des Rechts auf Wohnen.“

Die Broschüre zielt dabei politisch auf jene Kräfte, die sich für eine Wohnungsversorgung einsetzen, „die sich nicht an Profitinteressen, sondern am Bedarf der Menschen orientiert und die demokratischen Entscheidungsprozessen unterliegt.“ [–> LINK

Linke Medien-Kiste #31

KLIMAKRISE / UMWELT GLOBAL

Guter Beitrag von Umair Haque zur Klimakatastrophe am Beispiel der Hitzewelle in Indien. Beschreibt sehr gut die globale Ungleichzeitigkeit der Entwicklungen und was der globale Norden ausblendet. Kostprobe:

„My friends in the Indian Subcontinent tell me stories, these days, that seem like science fiction. The heatwave there is pushing the boundaries of survivability. My other sister says that in the old, beautiful city of artists and poets, eagles are falling dead from the sky. They are just dropping dead and landing on houses, monuments, shops. They can’t fly anymore.

The streets, she says, are lined with dead things. Dogs. Cats. Cows. Animals of all kinds are just there, dead. They’ve perished in the killing heat. They can’t survive.
People, too, try to flee. They run indoors, spend all day in canals and rivers and lakes, and those who can’t, too, line the streets, passed out, pushed to the edge. They’re poor countries. We won’t know how many this heatwave has killed for some time to come. Many won’t even be counted.

Think about all that for a moment. Really stop and think about it. Stop the automatic motions of everyday life you go through and think about it.“ –> ARTIKEL

KLIMAKRISE / UMWELT LOKAL

Gleichzeitig findet der Hauptanteil konkreter Maßnahmen zur Verhinderung der Klimakatastrophe auf lokaler und nationaler Ebene statt. Ein wichtiger Bestandteil ist hier der Umgang mit Baustoffen, insbesondere Zement, der laut ORF (–> LINK) ca. 8% der Treibhaus-Emissionen ausmacht.

Im Hinblick auf die Baustoff-Situation in Berlin haben die Linkspartei-Abgeordneten Katalin Gennburg und Ferat Kocak jetzt beim Berliner Senat nachgefragt, inwiefern die Umweltverträglichkeit von Baustoffen bei öffentlichen und privaten Bauvorhaben kontrolliert wird. Antwort des Senat in beiden Fällen: nein, diese wird nicht kontrolliert. 

  

Dabei wird nicht erläutert, ob die Kontrolle auf Grund mangelnder Personalkapazitäten und Qualifikationen in der Verwaltung ausbleibt – oder ob eine solche Kontrolle prinzipiell unterbleibt, um staatliche Bauprojekte nicht zu verlangsamen bzw. zu verteuern bzw. in neoliberaler Absicht nicht in Marktprozesse und das wirtschaftliche Agieren von Bauunternehmen und deren Profitmargen eingreifen zu wollen.  

POLZEIGEWALT

Die taz dokumentiert einen aus Versehen mitgefilmten Fall von Polizeigewalt auf der Polizeiwache in Delmenhorst. Diese ist jedoch kein Einzelfall. Auf der selben Wache verstarb im März 2021 ein Geflüchteter nach Festnahme, zudem gab es in den letzten drei Jahren neun Fälle von Verdachts auf Körperverletzung im Amt. –> ARTIKEL

Die gewalttätigen Kontinuitäten zur Wache in Dessau, dem Mord an Oury Jalloh und bereits vorher stattgefundenen tödlichen Übergriffen durch Polizeibeamt*innen drängen sich auf. In diesem Zusammenhang soll zudem auf die  Rechercheergebnisse der Initiative „death in custody“ hingewiesen werden, die tödliche Fälle von Polizeigewahrsam gegen rassifizierte Leute bzw. People of Colour seit Beginn der 1990er Jahre in Deutschland dokumentiert. –> Homepage

SOZIALPOLITIK

Realitäten der deutschen Klassengesellschaft: 

ZUM SCHLUSS:

  

–> QUELLE

Strategie und Zukunft der Linkspartei

Heute findet unter dem Titel „Eine starke LINKE ist möglich und wird gebraucht!
Zehn Herausforderungen eines solidarischen Aufbruchs“ eine aus meiner Sicht  wichtige Online-Veranstaltung der Rosa-Luxemburg-Stiftung (RLS) zur Zukunft der Linkspartei statt. Ich werds zeitlich auch kaum schaffen, sie live zu schauen, ihr könnt sie aber hier nachschauen: –> LINK

Warum ist die Veranstaltung wichtig?

Die momentane Lage der Linkspartei ist wirklich desaströs, und die Wahlniederlagen sind nur ein Symptom davon. Nachdem Sahra Wagenknecht auf dem Feld Migration rumgemäht hat, ist mit dem internen Sexismus-Skandal der Linkspartei nun auch das Feld Geschlechterverhältnisse betroffen.

Gleichzeitig kommt die Linkspartei mit ihren politischen Forderungen kaum durch in die politische Öffentlichkeit: weder während Corona mit ihrer Kritik der neoliberalen Strukturierung des Gesundheitssektors – nun während des Russland-Ukraine-Krieges mit ihrer friedenspolitischen, anti-militaristischen Position zu Krieg. Gleichzeitig ist die Linkspartei in Berlin, die den Enteignen Volksentscheid massiv unterstützt, in einer untergeordneten Rolle in einer Koalition mit der Berliner SPD, die das Enteignen-Ergebnis ignoriert und kleinarbeitet. Kompliziert alles.   

Es gibt jetzt unterschiedliche interne Versuche innerhalb der Linkspartei, eine Analyse ihrer Krise zu betreiben, um daraus zielorientiert eine neue Strategie zu bestimmen. Ich unterstütze diesen Prozess als Nicht-Parteimitglied ausdrücklich – die APO braucht aus meiner Sicht eine starke Linkspartei, sie muss nur links sein. Und ein fortgesetzter Kollaps der Linkspartei würde aus meiner Sicht zu einem Teil-Kollaps von Bewegungsstrukturen führen, die politische Stützpunkte im Staat bzw. parlamentarischen Betrieb brauchen, um ihre Forderungen adressieren zu können – jedoch ohne ihre Autonomie dabei zu verlieren.

Neue Debatte

Es gibt jetzt zwei Publikationen der RLS, die diesen Strategieprozess gut anstossen: 

A) eine Analyse des Wähler*innenpotentials der Linkspartei von Mario Candeias von Ende Mai kommt u.a. zu folgendem Schluss: „Dass DIE LINKE für mehr Sozialismus eintreten soll, dem stimmen 54 Prozent der potenziellen Wähler*innen zu, und dies quer zu den Einkommensklassen. Vor allem Frauen unterstützen diese Ausrichtung mit 63 Prozent. Je jünger die Befragten sind, desto häufiger stimmen sie dieser Forderung zu (bei den U40: 71 %). Dass DIE LINKE stärker für eine Alternative zum Kapitalismus eintreten soll, dafür sprechen sich Gewerkschafter* innen mit 76 Prozent viel deutlicher aus als Nicht-Gewerkschaftsmitglieder. Bei der Forderung nach mehr Sozialismus ist das Verhältnis 62 zu 53 Prozent.

Fazit: Es ist also durchaus ein stabiles Potenzial für eine sozial-ökologisch ausgerichtete linke Partei mit sozialistischer Perspektive vorhanden, entsprechende Konzepte und Kampagnen vorausgesetzt. Die Ausschöpfung dieses Potenzials gelingt bisher nicht. Damit dies möglich wird, müssen zunächst die parteiinternen Probleme gelöst und die harten internen Auseinandersetzungen befriedet werden. Nur so können Ausstrahlungskraft und Glaubwürdigkeit gemeinsam zurückgewonnen werden.“ –> LINK ZUR STUDIE

Daneben gibt es nun B) eine Analyse der Arbeitsgruppe «Zukunft der Partei DIE LINKE» der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die 10 Thesen für eine neue Strategie der Linkspartei entwickelt hat. Dazu ist die Veranstaltung heute Abend.

Aus der Ankündigung: „Die Lage der Partei DIE LINKE ist durch einen schreienden Widerspruch geprägt: Sie verfügt über ein starkes Potential von knapp einem Fünftel der Wahlbevölkerung und wird doch immer weniger gewählt. Sie hat in den letzten zehn Jahren 30.000 neue, vornehmlich junge Mitglieder gewonnen und ist trotzdem nicht auf der Höhe der Zeit. Ihre sozialen Forderungen werden breit unterstützt, sie selbst aber nicht. Und dies gerade von denen nicht, die des sozialen Schutzes am meisten bedürfen und für die Gerechtigkeit im Zentrum steht.

Die Suche nach Alternativen zum Kapitalismus ist für mehr als ein Drittel der Bevölkerung wichtig, aber nicht die sozialistische Partei DIE LINKE. Die Partei will «die» LINKE sein, vertrat aber in allen zentralen Fragen der letzten Jahre (Migration, Klima, Corona, Ukrainekrieg) gegensätzliche Positionen. Diese Widersprüche stellen die Existenz der Partei DIE LINKE in Frage. Unübersehbar ist, dass der Aufbau eines strategischen Führungszentrums von Partei und Bundestagsfraktion die nächste und dringlichste Herausforderung ist. Die damit verbundene Aufgabe muss 2022 gelöst werden, wenn die Partei DIE LINKE eine Zukunft haben soll. DIE LINKE wird dringend gebraucht – doch dafür muss sie sich neu begründen.“ –> LINK

Ich bin gespannt, wohin dieser Prozess führt.

Einladung zum 8. Mai: antifaschistische Solidarität

liebe leute,

hier ne einladung für diesen sonntag, 8.5.22, 14-22h in kreuzberg 36 – dort findet eine relaxte soli-aktion für 2 kriminalisierte antifaschistische Aktivistinnen und Freundinnen statt.

Gibt einen „kids corner“ mit kinderschminke, Kreide und hula hoop und ich lege dort mit auf – tendenz punkrock (zur einstimmung: ein alter punkrock-mix) und lustiges gemüse.

kommt gerne rum, es gibt genug gute anlässe (siehe text unten)

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„(A)MILF – Antifascist Muddis i’d like to finance – für mehr Aktionen gegen den Faschismus weltweit“.

++ Einladung zum Soli-Cornern am Sonntag, 08.05.22, 14-22h vor dem „Pirata Patata“ in Kreuzberg mit „Kids corner“++

Anlass: Im Rahmen der Kundgebung gegen den AfD-Parteitag Anfang Juni 2021 in Berlin-Biesdorf ist es zu zahlreichen brutalen Festnahmen gekommen. Zwei der betroffenen Personen sind unsere Freundinnen und Genossinnen Anni und Jenny. Auf sie kommen hohe Strafgelder, Prozess- und Verteidigungskosten zu, die alleine nicht leistbar sind.

Wir haben uns daher entschieden, sie durch Soli-Aktionen zu unterstützen. In diesem Sinne laden wir Euch für diesen Sonntag, den 08.05.2022 zwischen 14 und 22h vors Pirata Patata (Kohlfurther Strasse 33, U-Bhf Kottbusser Tor) ein, um mit uns Soli-Pommes, fantastische Musik und leckere Soli-Getränke zu genießen – ein antifaschistischer Kurzurlaub auf dem Sonnendeck ist trotz aller widrigen Umstände möglich! Dazu gehört auch ein „Kids corner“ mit Kinderschminke, Kreide, Hula Hoop u.v.m.

Politischer Kontext: Wir sind uns dessen bewusst, dass der 08.05. in unterschiedlicher Weise ein geschichtsträchtiges Datum ist:

(1) wir freuen uns, dass wir das bereits seit Jahren etablierte antifaschistische Erinnern an die nationalsozialistischen Gräueltaten und die schlussendliche Niederlage und Kapitulation Deutschlands vor den Alliierten am 08.05.1945 verbinden können mit gegenwärtigen antifaschistischen Kämpfen gegen rechte Kräfte wie die AfD. Jene Kräfte, die die NS-Verbrechen bis heute relativieren und rechte Denk- und Handlungsmuster in der Öffentlichkeit normalisieren. Unsere Proteste gegen ihr Wirken sind richtig und wichtig – und ebenso verdienen unsere antifaschistischen Genossinnen unseren solidarischen Beistand, wenn sie anlasslos kriminalisiert werden. One struggle one fight – dieses gilt für uns nicht nur während, sondern auch nach der gemeinsamen Demo gegen Nazis und Rechtspopulist*innen!

(2) Fällt der 08. Mai dieses Jahr mit dem „Muttertag“ zusammen – einem Feiertag, den erst die NS-Führung 1933 zum gesetzlichen Feiertag ernannte, und dadurch Frauen* auf ihre Rolle als „Gebärmaschinen für den arischen Nachwuchs“ reduzierte. Nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes übernahm die West-BRD diesen Feiertag unhinterfragt, so dass er bis heute gefeiert wird und ein wichtiger Bestandteil konservativer und rechter Frauenbilder und antifeministischer Mütterverständnisse ist. Zentral hierfür ist die Vorstellung, dass sich Mütter* auf ihre kinderversorgende Rolle im Haushalt konzentrieren und aus dem politischen öffentlichen Leben heraushalten sollen. Mit dem AMILF-Titel unserer Veranstaltung wollen wir darauf hinweisen, dass unsere kriminalisierten Genossinnen selbst Kinder haben und trotzdem politisch aktive, antifaschistische Subjekte sind, die sich ebenso gegen rechte Kräfte wehren wie kinderlose. Darüber hinaus wollen wir in der linken Szene dafür sensibilisieren, dass linke Eltern in Fällen von Kriminalisierung besonders verletzlich sind, dass sie meist in anderen Versorgungsverpflichtungen stecken als kinderlose Aktivist*innen.

In diesem Sinne: kommt diesen Sonntag, 8.5.2022 zwischen 14-22h vors Pirata Patata und lasst uns solidarisch gemeinsam abhängen! Alerta Antifascista!

DJ’s für die gute Musik:
Jenny Käsch
The Brett

FB-Veranstaltung: –> LINK

Politische Solidarität gegen individualisierende Kriminalisierung linken politischen Handelns

 

liebe leute,

hier ein spendenaufruf für zwei freundinnen von mir, die mitte letzten jahres bei protesten gegen den parteitag der berliner afd nach einem belanglosen vorfall festgenommen und nun mit strafverfahren überzogen werden. die anwaltliche schätzung der prozesskosten für die willkürlich angeklagten delikte beläuft sich bittererweise auf ca. 10.000 euro für beide verfahren.

ich weiss, wir können nicht alle gleichzeitig auf alle demos gehen – umso mehr ab berufseintritt, kindern, pflege- oder politverpflichtungen auf anderen feldern – umso wichtiger finde ich die unterstützung jener, die sich tagtäglich zu protesten aufmachen und damit im zweifelsfall nicht nur ihre körperliche und psychische unversehrtheit riskieren, sondern auch ihre finanzielle und berufliche sicherheit durch hohe bußgelder und androhungen von vorstrafen.

denn diese drohungen und kriminalisierungen wirken primär individualisierend und drohen ins private verschoben werden – das betrifft sowohl die psychosoziale bewältigung von ängsten und einschüchterungen als auch die materiellen und beruflichen folgen der angedrohten strafen.

umso wichtiger ist aus meiner sicht ein öffentlicher diskurs über laufende verfahren im rahmen der juristischen möglichkeiten und das eindeutige materielle und symbolische zeichen, dass niemand alleine zurückbleibt, der im rahmen linker polit-aktionen für nix mit staatlicher repression überzogen wird. „no one is left behind“ gilt auch hier.

 

 

gleichzeitig muss es zusätzliche aufgabe linker öffentlichkeitsarbeit im kontext staatlicher repressionsmaßnahmen sein, immer wieder auf die politischen kontexte und anlässe hinzuweisen, in denen aktivist*innen mit strafen überzogen werden. allzu oft werden diese antifaschistischen, queer-feministischen oder radikal-ökologischen gründe für demonstrationen im endeffekt von der frage überlagert, wie sich die angeklagen zu polizist*innen oder anderen repressionsorganen konkret verhalten haben oder „was sie konkret in der und der situation gemacht haben“.

diese fragen sind für die betroffenen und ihr standing in den strafverfahren hochrelevant, damit sie heile aus der sache rauskommen – die ursprünglichen motive, sich politisch an dem und dem tag zu bewegen und auf die strasse zu gehen, waren aber sicherlich in den meisten fällen nicht die offene konfrontation mit willkürlicher polizeigewalt, mackertum, cop culture und daraus resultierenden abgesprochenen falschaussagen von polizist*innen.

sondern der politische wille, gegen rechtsradikale parteien wie die afd zu protestieren, die niederwalzung eines waldgebietes zu verhindern oder sich fundamentalistischen christ*innen entgegenzustellen, die frauen* das recht auf abtreibung absprechen.

diese motive – neben der konkreten solidarität im verfahren – immer wieder zu erneuern und ins bewusstsein zu rufen, muss aufgabe einer solidarischen linken öffentlichkeitsarbeit sein. betroffene sind nicht nur „angeklagte“, sondern auch aktivist*innen, die für vertretbare politische ziele ihre rechte auf organisierung und protest wahrgenommen haben, und in diesem kontext – und das ist aus meiner sicht der politische skandal – willkürlich kriminalisiert, eingeschüchtert und verunsichert werden.

es mag eine erfahrungsmässig geteilte „linke empirie“ dieser kriminalisierungs-vorgänge geben, von willkürlicher polizeigewalt über abgesprochene falschaussagen bis zu haarsträubenden einstellungen von strafverfahren gegen polizist*innen und überzogene strafen gegen aktivist*innen. diese darf jedoch in keinem fall normalisiert werden, sondern muss immer wieder aktiv kritisiert und in frage gestellt werden.

zum oben genannten fall bei den anti-afd-protesten: ein teil der prozess-kosten wird evtl von anderen strukturen übernommen – die beiden betroffenen haben jetzt aber ein eigenes crowd-funding für einen anderen teil der kosten (3.000 euro) eingerichtet, für das ihr spenden könnt:

https://www.betterplace.me/soli-fuer-anni-und-jenny

merci!